„Die Jahre“, veröffentlicht 1937, präsentiert sich als eine Mehrgenerationen-Saga, die fünfzig Jahre im Leben der Familie Pargiter umspannt. Im Gegensatz zu einem klassischen Familienepos verzichtet es auf einen umfassenden Erzählstrang oder eine feierliche Botschaft und bietet stattdessen eine Reihe zusammenhangloser Episoden, die die Mehrdeutigkeit des persönlichen und sozialen „Fortschritts“ unterstreichen.
Der Roman beginnt in den 1880er Jahren, in der späten viktorianischen Dämmerung, und jeder Abschnitt springt zu einem neuen Jahr – 1891, 1907, 1918 und schließlich ein „Gegenwartstag“ in den 1930er Jahren. In jeder Zeitperiode erhaschen wir einen Blick auf die Pargiters und ihre Bekannten bei alltäglichen Aktivitäten: Sie besuchen Beerdigungen, veranstalten Dinnerpartys, navigieren durch kleine Peinlichkeiten und flüchtige Freuden. Wichtige Lebensereignisse – Eheschließungen, Todesfälle, Entfremdungen – finden oft außerhalb der Abschnitte statt, so dass die Charaktere, denen wir in späteren Jahren wiederbegegnen, durch nur angedeutete Erfahrungen verändert sind. Diese Erzählstruktur vermittelt das beunruhigende Gefühl, dass die entscheidenden Momente des Lebens entweder privat oder antiklimaktisch sind. Die Umstände der Familie ändern sich mit der Zeit (Kinder wachsen heran, Frauen gewinnen mehr Freiheiten, die Gesellschaft modernisiert sich), doch diese Veränderungen bringen keine große Erfüllung. Gespräche münden oft in Missverständnisse oder höfliches Schweigen; Charaktere teilen dieselben Räume, scheinen aber in unterschiedliche Gedanken versunken zu sein, unfähig, die Kluft zu überbrücken, die durch Zeit und persönliche Distanz geschaffen wurde.
Der letzte Abschnitt zeigt die überlebenden Pargiters, die sich in den 1930er Jahren zu einem Wiedersehen versammeln und sowohl Erinnerungen als auch die Realität einer Welt konfrontieren, die die viktorianische Ära weit hinter sich gelassen hat. Es wird über Politik und eine unvorhersehbare Zukunft gesprochen, doch sobald jemand versucht, einen vereinheitlichenden Gedanken oder eine hoffnungsvolle Vision zu artikulieren, versagen die Worte. Die Party zerstreut sich ohne einen Höhepunkt, die Gäste kehren in ihr getrenntes Leben zurück. Durch dieses antiklimaktische Ende verweigert Woolf dem Leser jegliches Gefühl einer kathartischen Auflösung. Stattdessen beleuchtet „Die Jahre“ die Erosion jeder gemeinsamen Erzählung, die einst eine Familie oder Gesellschaft zusammengehalten haben könnte. Jeder Charakter bleibt mit seinem eigenen Flickenteppich vergangener Erfahrungen und privater Zweifel zurück. Selbst das Vergehen eines halben Jahrhunderts, mit all seinen äußeren Umwälzungen, führt bei diesen Individuen zu keiner ultimativen Weisheit oder Solidarität. Die Darstellung der Zeit ist hier nicht als Heilerin oder Lehrerin, sondern als ein langsamer, unerbittlicher Hintergrunddrift, vor dem menschliche Verbindungen zerbrechlich erscheinen und Bedeutungen schwer fassbar bleiben.