"Die gรคngige liberale Meinung hรคlt Selbstverwirklichung und Selbstenteignung im Wesentlichen fรผr unvereinbar. Eine radikalere Sichtweise tut das nicht. Man muss schon, wie so viele Liberale, mit der Menschheit รคuรerst nachsichtig verfahren, um davon auszugehen, dass sich das Selbst entfalten kann, ohne grundlegende Zerschlagung und Umgestaltung, deren traditionelles Zeichen das Opfer ist." Der bekannte englische Philosoph Terry Eagleton untersucht in seinem neuen Buch den Gedanken und das Ereignis des Opfers, das fรผr ihn Grundlage der modernen wie auch traditioneller Gesellschaftsordnungen darstellt. Wรคhrend der gegenwรคrtige Zeitgeist das Opfer als barbarisch und rรผckstรคndig betrachtet (oder es nur als individualistisches Mittel der Selbstoptimierung kennt), ist es fรผr Eagleton von zentraler Bedeutung fรผr Geschichte und Emanzipation der Menschheit. Der Autor verfolgt den Diskurs รผber Sinn und Praxis des Opfers vom Alten Testament รผber das antike Griechenland bis zum ultimativen Opfer der Kreuzigung von Jesus Christus, das in seiner Analyse als Signal eines Bรผndnisses von Gottes Sohn mit den "Verdammten der Erde" prรคsentiert wird. Eagleton setzt sich mit einer Vielzahl von bedeutenden Stimmen auseinander โ von Freud รผber Lacan, Derrida, Heidegger und Nietzsche bis zu ลฝiลพek, Marx und J.K. Rowling. In Betrachtungen und Meditationen รผber Tod und Eros, Ironie und (postmoderne) Beliebigkeit erforscht er die Bedeutung des Opfers und versucht, diese radikale Idee mit Politik und Revolution zu verbinden. Im Kapitel รผber "Kรถnige und Bettler" geht Eagleton der Figur des Sรผndenbocks quer durch die Jahrhunderte nach. Im Kapitalismus identifiziert er dabei das Proletariat als Sรผndenbock โ und mit Karl Marx als revolutionรคres Subjekt. "Der รbergang vom Christentum zum Marxismus ist unter anderem ein รbergang von einer Vision der Armen als jene, die die Zukunft ankรผndigen, zu einem Glauben an sie als dem wichtigsten Mittel zu ihrer Erreichung." Eagleton spricht sich dafรผr aus, dem Leben durch Aufopferung fรผr die Geknechteten wieder einen Sinn zu geben.