Ich bin mir wohl bewu§t, das Wort ÈPhantasieÇ, von dem die folgenden Seiten handeln, in einem dem landlufigen abweichenden Sinne gebraucht zu haben und ich htte es gern mit einem passenderen Worte vertauscht, wenn ich eins gefunden htte. Im allgemeinen bezeichnet man mit Phantasie die Einbildungen unsres Gehirns, das Imaginre, das ein nicht Existierendes vorzaubert. In dieser Bedeutung kann man Phantasie berhaupt nicht anwenden auf die Malerei, die nichts erfinden kann oder soll, was nicht in der Natur existiert oder wenigstens existieren knnte. Ich mchte der Phantasie mehr die Bedeutung, die das Wort im Griechischen hatte, beilegen: __________, Erscheinung. Der Maler will das ihm vorschwebende Bild zur Erscheinung bringen, er will die Erscheinung auf die Leinwand projizieren, wobei es ganz gleichgltig ist, ob ihm das Bild vor seinem geistigen oder leiblichen Auge schwebt. Denn beides ist im Grunde dasselbe: der Maler kann nur malen, was er zu sehen glaubt, ob er sein Bild im Geiste oder in der Natur sieht.
Aus der Phantasie malen steht also in keinem Gegensatze zum Nach-der-Natur-malen, denn es sind nur zwei verschiedene Wege, die nach demselben Ziele fhren sollen. Noch falscher aber wre die Annahme, die nicht nur im Publikum, sondern leider auch in der sthetik immer noch besteht, als ob der Maler, der aus der Phantasie malt, mehr mit der Phantasie malt, als der, welcher nach der Natur malt.
Je naturalistischer eine Malerei ist, desto phantasievoller mu§ sie sein, denn die Phantasie des Malers liegt nicht Ð wie noch ein Lessing annahm Ð in der Vorstellung von der Idee, sondern in der Vorstellung von der Wirklichkeit oder wie Goethe es treffend ausdrckt: ÈDer Geist des Wirklichen ist das wahrhaft IdeelleÇ. Daher bedeutet idealistische Malerei im Gegensatze zur naturalistischen Malerei nur die verschiedene Auffassung der Natur, aber keinen Qualittsunterschied: die Qualitt beruht einzig und allein in der gr§eren oder geringeren Kraft der Phantasie des Malers, mag er nun wie Raffael eine Madonna oder wie Rembrandt einen geschlachteten Ochsen malen. Natrlich kann ich nicht mit mathematischer Genauigkeit beweisen wollen, warum der eine Meister mehr Phantasie hat als der andere. Ich kann nur sagen wollen, warum ich ein Portrt von F. Hals fr phantasievoller halte als einen Holbein. Und wenn ich sage, da§ ich in Franz Hals den phantasievollsten Maler sehe, der je gelebt hat, so wird vielleicht klarer, was ich unter malerischer Phantasie verstehe: die den malerischen Mitteln am meisten adquate Auffassung der Natur. Jede Kontur, jeder Pinselstrich ist Ausflu§ einer knstlerischen Konvention. Je suggestiver die Konvention wird, je ausdrucksvoller durch die Form oder die Farbe oder durch beides zusammen der Maler sein inneres Gesicht auf die Leinwand zu bringen imstande war, desto gr§ere, strkere Phantasiettigkeit war zur Erzeugung seines Werkes ntig. Ebensowenig wie man den physischen Zeugungsproze§ je ergrnden wird, ebensowenig wird der Schleier von dem knstlerischen Zeugungsproze§ je fallen. Wie es Axiomata gibt, die nicht in Frage gestellt werden drfen, wenn man mathematische Fragen errtern will, so gibt es in der sthetik gewisse notwendige Voraussetzungen, ber die nicht zu diskutieren ist. Das Genie ist selbstverstndliche Voraussetzung und die sthetik kann sich nur damit beschftigen wollen, wie und auf welche Weise es sich u§ert. Der heilige Augustinus definiert die Kunst als das, was die gro§en Knstler hervorgebracht haben. Fragt sich nur, welche Knstler man als die gro§en bezeichnet. Und diese Frage wird nie endgltig gelst werden, denn letzten Endes entscheidet in stheticis der Geschmack und nirgends gilt das post hoc ergo propter hoc mehr als in der sthetik.