Bisherige theoretische Arbeiten zu geschriebener Sprache verfolgen zumeist das Ziel, orthographisch sanktionierte Wortschreibungen unmittelbar aus der grammatischen Basis herzuleiten, insbesondere aus der Lautform. Das in dieser Studie formulierte "Rekodierungsmodell" geht von der Annahme aus, dass diese Beziehung von Lautformen zu orthographischen Schreibungen nicht direkter Natur ist, sondern dass hier notwendigerweise eine vermittelnde Ebene der Graphematik zwischengeschaltet ist. Die Graphematik ist dabei derjenige Teilbereich einer Theorie des Schriftsystems, der das Verhรคltnis von geschriebenen Formen zu lautlichen Formen erfasst. Im Kern geht es hierbei um die Frage, wie Schreibungen in Lautungen รผberfรผhrt werden kรถnnen. Gegenstand der Studie ist demzufolge eine Analyse des Korrespondenzpotentials aller Buchstaben des deutschen Alphabets. Hierfรผr werden explizite Regeln formuliert, die zeigen, in welchen Kontexten ein Buchstabe mit welchen phonologischen Einheiten korrespondiert. Zusรคtzlich werden mit Hilfe von Beschrรคnkungen die Phรคnomene Dehnung und Schรคrfung behandelt, die das deutsche Schriftsystem prรคgen. Die Untersuchung formuliert damit wesentliche Grundlagen fรผr eine Analyse der Orthographie, verstanden als Mechanismus der Auswahl konventioneller Schreibungen auf der Basis eines graphematischen Lรถsungsraums, und sie liefert relevante Argumente fรผr Reformdebatten.